(ffm) Wären die Biographien der VGF-Angestellten eine Geschichtensammlung über Frankfurt, dann wäre die Ehe von Peter und Heike Wirth eine Liebesgeschichte, die von dieser Stadt handelt. Das dienstälteste Straßenbahnfahrer-Ehepaar Frankfurts hat sich vor 39 Jahren beim Tanzunterricht kennengelernt, ist seit 34 Jahren verheiratet und fährt seit nunmehr 31 Jahren Straßenbahn.
Das Berufsleben von Peter und Heike Wirth spielt sich zwischen zwei Endstationen ab, zwischen denen sich die Wege der beiden je nach Linienverlauf mehrmals am Tag kreuzen. Immer wenn Heike und Peter sich auf der Strecke begegnen, werfen sie sich eine Kusshand zu – und freuen sich auf den gemeinsamen Feierabend. Langweilig wird dem auf den ersten Blick so verschieden wirkendem Duo bei der Arbeit nie. Dafür sei der Job viel zu ereignis- und abwechslungsreich. „Wir richten unsere Dienstpläne so ein, dass wir in der selben Schicht arbeiten“, erklärt Heike Wirth, die im Februar 1988 ihren Job als Schienenbahnfahrerin in Frankfurt antrat. Ihr Ehemann Peter absolvierte nach der Bundeswehr zunächst eine Ausbildung zum Elektroinstallateur, fuhr danach eine Weile Taxi und folgte schließlich seiner Frau in den Führerstand der VGF-Bahnen.
„Schon damals, als ich noch Taxi gefahren bin, ist Heike mit ihrer Straßenbahn mehrmals am Tag an meinem Taxistand vorbeigefahren“, sagt Peter Wirth und lässt sein breites Grinsen aufblitzen. Seit 1988 hat sich Frankfurt radikal verändert. Vor 30 Jahren zählte es 625.000 Einwohner. Inzwischen leben über 125.000 Menschen mehr in der Stadt. Werktags schwillt Mainhattan gar zur Millionen-Metropole an. Das merken natürlich auch die Straßenbahnfahrer: „Dass inzwischen so viele Leute in Frankfurt wohnen, wirkt sich auch auf die Verkehrsdisziplin aus. Die Straßen sind viel voller als früher und wir müssen extrem aufpassen, um unfallfrei durch die Stadt zu kommen“, sagt Heike Wirth. Vor allem Auto- und Fahrradfahrer, die bei Rot über die Ampel fahren, Menschen, die auf ihr Handy statt auf die Straße schauen, und mit Martinshorn durch die Stadt brausende Rettungswagen machen den Straßenbahnfahrern zu schaffen.
Hohes Verkehrsaufkommen erfordert viel Konzentration
Mit der Stadt und ihrer Einwohneranzahl ist auch das Liniennetz der VGF beachtlich gewachsen. Auf zentralen Streckenabschnitten in der Innenstadt fahren die Trams inzwischen im Minutentakt. Um hier stets die Balance zwischen Pünktlichkeit, Rücksicht auf den Straßenverkehr und Kundenfreundlichkeit zu wahren, ist größte Konzentration vonnöten. „Natürlich warten wir so lange wie möglich, wenn wir sehen, dass noch jemand angelaufen kommt und zusteigen möchte. Aber irgendwann müssen wir dann eben doch die Türen schließen und losfahren“, bittet Heike Wirth alle Fahrgäste um Verständnis, die ihre Bahn mal wieder um wenige Sekunden verpasst haben. Die erfahrene Straßenbahnfahrerin versichert jedoch, dass weder sie noch ihre Kollegen einen Fahrgast absichtlich an der Haltestelle stehen ließen.
„Als ich Ende der 80er durch die Mainzer oder die Hanauer Landstraße gefahren bin, waren dort viele Industriebetriebe. Heute stehen dort überall moderne Wohnblocks“, sagt Wirth. Der Mann, den vor allem jüngere VGF-Fahrgäste als den Bahnbabo kennen, ist eine imposante Erscheinung. Mit seiner verspiegelten Fliegersonnenbrille, den hantelgestärkten Oberarmen und seinen raspelkurzen Haaren ist Wirth seit einigen Jahren der unangefochtene Publikumsliebling unter Frankfurts Straßenbahnfahrern. Seit über 30 Jahren treibt der Fitnessfanatiker Krafttraining und mixt sich nach Feierabend gemeinsam mit seiner Frau Smoothies und Protein-Shakes. Doch Kraft ist nicht alles für Peter Wirth – zur Demonstration seiner Geschmeidigkeit führt er aus dem Stehgreif einen Spagat auf – und betont danach, dass ein starker Mann seine Probleme nicht mit Muskelkraft, sondern mit Köpfchen löse.
Regelmäßig spricht Wirth über das Bordmikrofon mit seinen Fahrgästen, wünscht ihnen trotz oder wegen des Wetters einen schönen Tag, weist auf Umleitungen hin oder freut sich mit ihnen darüber, dass mal wieder seine Frau an ihm vorbeifährt. Diese kommunikative und lockere Art kommt bei den Kunden gut an – in den sozialen Medien ist Peter Wirth ein echter Star, der regelmäßig um Selfies gebeten wird. „Diese Art der Kontaktpflege macht mir einfach Spaß. Schon damals, als der Führerstand noch nicht durch eine Tür vom Rest des Wagens getrennt war, habe ich mich gerne mit meinen Fahrgästen unterhalten – auch wenn das eigentlich verboten ist“, sagt Peter Wirth und knipst sein Bahnbabo-Grinsen an.
Die Welt gesehen – in Frankfurt verliebt
„Am liebsten fahre ich die Line 11 von Fechenheim bis Höchst – das ist das echte Leben“, sagt er über jene Linie, bei der seine Fähigkeiten als Konfliktschlichter schon ab und an gefragt waren. „Wenn sich einer in der Straßenbahn nicht benimmt oder weigert, die Füße vom Sitz zu nehmen, zeige ich ihm schon mal meinen Spagat. Danach habe ich seinen Respekt, weil er merkt, dass ich ein stabiler Typ bin.“ Heike Wirth hat ebenfalls nichts gegen ein Schwätzchen mit ihren Fahrgästen einzuwenden – sie lässt es im Führerstand allerdings ruhiger angehen als ihr Ehemann. „Meine Lieblingslinien sind die 15 oder die 18 – am liebsten sonntags wenn es schön ruhig ist“, sagt sie. Den Feierabend lässt Heike Wirth danach gerne mit einer Ladung Wollknäule ausklingen, aus denen sie, so versichert ihr Mann glaubhaft, wahre Strick-Kunstwerke fertigt.
So unterschiedlich die Wirths auf den ersten Blick auch scheinen mögen – privat leben sie seit über drei Jahrzehnten ganz auf einer Linie: Gemeinsam hat das Duo fast die ganze Welt bereist – doch von Frankfurt kriegen die beiden, die auch im Herzen der Mainmetropole leben, einfach nicht genug. Mit Ausnahme eines einjährigen Gastspiels 1992 in Offenbach leben die Wirths seit ihrer Jugend in Frankfurt. Und sicher ist: Bis zu ihrer Rente werden Heike und Peter Wirth weiter für die VGF im Führerstand ihrer Straßenbahnen sitzen, um ihre Fahrgäste pünktlich und sicher ans Ziel zu bringen und sich eine Kusshand zuzuwerfen.
Am Sonntag, 31. März, wird Peter Wirth übrigens ab 22.15 Uhr beim Hessenquiz im hr-Fernsehen zu sehen sein.