Die Frankfurt-Tipp Bewertung - Film: | |
Ausstattung: |
Originaltitel: | Irreversible |
Genre: | Drama |
Regie: | Gaspar Noé |
Verkaufsstart: | 10.12.2020 |
Produktionsland: | Frankreich 2002 |
Laufzeit: | ca. 93 Min. (Kinofassung) / ca. 86 Min. (Straight Cut) |
FSK: | ab 18 Jahren |
Anzahl der Disc: | 2 |
Sprachen: | Deutsch, Französisch (Dolby Digital 5.1) |
Untertitel: | Deutsch, Französisch |
Bildformat: | 16:9 (2,35:1) |
Extras: | Audiokommentare, Featurettes |
Regionalcode: | 2 |
Label: | Studiocanal |
Film: Knapp 18 Jahre ist es nun her, dass ich "Irreversible" gesehen habe. Seinerzeit war ich mir sicher, dass ich den Film garantiert nicht noch einmal sehen werde. Nicht, weil ich ihn schlecht fand, sondern weil ich ihn als äußerst unangenehm und erschütternd empfunden habe. Nach fast zwei Jahrzehnten habe ich mir anlässlich der Veröffentlichung des neuen Straight Cuts dann doch noch mal angesehen – und das sogar in beiden Schnittversionen. Eines kann ich gleich vorweg sagen: Von seiner Wirkung hat der Film in der Original-Schnittfassung nichts verloren.
Regisseur Gaspar Noé erzählt in "Irreversible" die schonungslose Geschichte einer Vergewaltigung und der anschließenden Rache an dem (mutmaßlichen) Vergewaltiger. Erzählt wird die Geschichte in umgekehrter Reihenfolge, so dass der Film mit dem Abspann beginnt. Durch dieses Stilmittel erreicht Noé eine ungeheure Wirkung, die den Film in einem vollkommen anderen Licht erscheinen lässt, als dies bei einer herkömmlichen Erzählform der Fall ist. Der Mord an dem Mann, den Marcus (Vincent Cassel) für den Vergewaltiger seiner Frau Alex (Monica Belucci) hält und die Vergewaltigung selbst werden dabei mit einer derartigen Schonungslosigkeit und Brutalität gezeigt, dass der Film dadurch zu einer echten Belastungsprobe wird. Doch viel grausamer als diese Gewaltdarstellung ist die Schilderung des glücklichen Beisammenseins eines Paares, das in Kürze durch die Vergewaltigung und die anschließende Rache jeder Möglichkeit beraubt wird, solche wertvollen Momente des Glückes jemals wieder gemeinsam erleben zu dürfen. Da der Zuschauer dies alles allerdings erst am Ende sieht und daher schon genau weiß, dass dieses Glück in Kürze zerstört wird, sind diese ruhigen Szenen die wahre Tortur.
"Irreversible" ist von Ende bis Anfang ein unangenehmer Film, der keine Sekunde lang Zeit zum Entspannen lässt. Doch gerade dadurch hat er seine enorme Wirkung, die sich bei den einen in Begeisterung und Nachdenklichkeit bzw. Bestürzung zeigt, bei anderen wiederum in totaler Ablehnung und Wut. Genau das wollte Gaspar Noé mit seinem Film erreichen und die Reaktionen, die er gerade im Rahmen der Veröffentlichung im Jahr 2002 hervorgerufen hat, sind ein Beweis dafür dafür, dass der Film wirklich Niemanden kalt lässt. Ob es dafür solch drastischer Gewaltdarstellung bedurfte, darüber lässt sich sicherlich streiten.
Ganz klar: "Irreversible" ist ein intensiver Film und vor den schauspielerischen Leistungen von Monica Belucci und Vincent Cassel muss man wirklich den Hut ziehen. Aber man sollte sich als Zuschauer vorher genau bewusst machen, ob man sich diese Tortur wirklich antun möchte, bevor man sich dazu entscheidet, den Film zu sehen, oder eben nicht. Denn "Irreversible" wird man so schnell nicht vergessen können, egal, ob man den Film für Kunst oder für Schund hält. Die Bilder, die schnellen Schnitte, die unangenehme, dreckige Atmosphäre und die Hilflosigkeit brennt sich einem ins Gehirn und verschwindet nicht so schnell wieder. Ob man sich dem wirklich aussetzen will, sollte man sich also vorher gut überlegen.
Die Neuauflage fürs Heimkino enthält neben der Originalfassung auch noch den Straight Cut, der die Geschichte in der richtigen Reihenfolge erzählt. Dabei stellt sich die Frage: wird auch in dieser Form eine derartige Wirkung erreicht? Die Antwort ist. Nein! Der Film hat mit der gradlinigen Erzählweise allerdings eine ganz eigene, ebenfalls intensive Wirkung. Allerdings wirkt die ganze Vorgeschichte etwas zäh – was in der Originalschnittfassung nicht der Fall ist. Da man als Zuschauer dort schon weiß, welches furchtbare Schicksal dem Paar droht, hängt das wie ein dunkler Schatten über dem Rest des Films. In der richtigen Reihenfolge erzählt, wird das Glück des Paares erst im letzten Drittel zerstört, was sich dann eben nur auf die folgenden Ereignisse, nicht aber auf die Vorgeschichte ausübt. Der Straight Cut ist ein interessantes Experiment, aber letztendlich ist er unnötig, da "Irreversible" gerade durch die rückwärts gerichtete Erzählweise seine besondere Intensität voll und ganz ausspielen kann.
Bild + Ton: Bild- und Tonqualität der Neuauflage sind besser, als bei der Erstveröffentlichung. Allerdings sollte keine Hochglanzoptik erwartet werden. Denn Noé hat bewusst einen grobkörnigen, oftmals verwaschenen Look ohne Tiefenschärfe gewählt. Dieser besondere Look ist ein Teil des Films und trägt enorm zu der mitreißenden, bedrückenden Atmosphäre bei. Der Dolby Digital 5.1 Ton sorgt gerade zu Beginn (bzw. beim Straight Cut am Ende) für eine im wahrsten Sinne des Wortes unangenehme Klangkulisse. In den ruhigeren Momenten dominieren die gut verständlich abgemischten Dialoge des Geschehen. Alles in allem ist der Film technisch passend umgesetzt. Gut!
Extras: Auf der DVD mit der ursprünglichen Kinofassung sind neben einer Kurzdokumentation über die Spezialeffekte (ca. 7:10 Min.) auch noch zwei Audiokommentare enthalten. Der erste Kommentar stammt von Regisseur Gaspar Noé, der zweite, wirklich interessante Kommentar vom deutschen Filmwissenschaftler Prof. Dr. Marcus Stiglegger. Für Noé-Fans und Filminteressierte sind beide Kommentare durchaus hörenswert. Die zweite DVD bietet neben dem Straight Cut auch noch die rund 41minütige Featurette "Die umkehrbare Reise". Hier äußern sich Regisseur, Darsteller und andere Beteiligte rückblickend über die Entstehung des Films und die Reaktionen, die er hervorgerufen hat. Eine extrem interessante und sehr sehenswerte Dokumentation!
Fazit: "Irreversible" ist auch fast zwei Jahrzehnte nach seiner Erstveröffentlichung ein extrem kraftvoller, aber auch unangenehmer, schwer zu ertragender Film. Die Neuauflage bietet neben der Original-Schnittfassung auch den neuen Straight Cut, der zwar interessant, aber längst nicht so intensiv und mitreißend ist, wie das Original. Als Bonus gibt es hörenswerte Kommentare und eine interessante Making of Dokumentation. Wer sich auf den Film einlassen möchte, dem kann diese Neuauflage absolut empfohlen werden.
Ein Artikel von Sebastian Betzold