Die Frankfurt-Tipp Bewertung: |
Genre: | Drama, Tragikomödie |
Regie: | Sönke Wortmann |
Kinostart: | 18.09.2014 |
Produktionsland: | Deutschland 2014 |
Laufzeit: | ca. 93 Min. |
FSK: | ab 16 Jahren |
Webseite: | schossgebete-film.de |
Die geplante Hochzeit auf Sylt wurde für Elizabeth Kiehl (Lavinia Wilson) zum schlimmsten Ereignis in ihrem Leben. Als ihre Mutter und ihre Geschwister auf dem Weg zur Trauung in einen schrecklichen Unfall verwickelt werden, bei dem die Kinder getötet werden, gerät das Leben der jungen Frau völlig aus den Fugen. Jahre später lebt sie mit einem neuen Mann (Jürgen Vogel) und ihrer Tochter Liza (Pauletta Pollmann) ein scheinbar glückliches Leben in einem schmucken Einfamilienhaus. Doch ihr Alltag wird von Ängsten und Spleens bestimmt, denen sie durch ständige Therapiesitzungen bei Frau Drescher (Juliane Köhler) Herr zu werden versucht. Irgendwo zwischen Kindererziehung, Wurmkuren und gemeinsamen Bordellbesuchen mit Georg versucht sie, ihre Rachegedanken, Schuldgefühle und Phobien unter Kontrolle zu bringen. Doch um das zu schaffen, müsste sie sich erst einmal dem traumatischen Verlust stellen…
"Schoßgebete" ist nach dem großen Erfolg von "Feuchtgebiete" die zweite Kinoadaption eines Romans von Charlotte Roche. Handwerklich hat Regisseur Sönke Wortmann einen sehr guten Film abgeliefert, der seine maue Komödie "Das Hochzeitsvideo" durchaus vergessen macht. Auch die Darsteller sind über jeden Zweifel erhaben, wobei gerade Lavinia Wilson wieder einmal beweist, dass sie zu den besten deutschen Schauspielerinnen ihrer Generation gehört. Ihr Spiel ist intensiv und mitreißend, facettenreich und sehr emotional. Dabei schafft Wilson das Kunststück, Elizabeth trotz ihrer vielen Spleens und ihrem nicht gerade unanstrengenden Verhalten zu einer wirklich sympathischen Figur zu machen, von deren Schicksal man als Zuschauer auch wirklich bewegt wird. Aber auch Jürgen Vogel liefert als ihr emotional sehr ausgeglichenes Gegenstück eine sehr gute Leistung ab.
Die auf Provokation ausgerichteten Unappetitlichkeiten, mit denen "Feuchtgebiete" ja fast im Sekundentakt um sich geworfen hat, worunter zu viel von der Geschichte begraben wurde, halten sich hier in erträglichen Grenzen, auch wenn nicht ganz darauf verzichtet wird ("Zeigst Du mir mal Dein Po-Loch?"). Die Dramaturgie ist recht mitreißend aufgebaut und lässt dabei sehr viel deutlicher eine klare Struktur erkennen, als die Buchvorlage. Das sind alles Punkte, die dafür sprechen, dass "Schoßgebete" ein wirklich sehenswerter Film und eine gelungene Romanadaption geworden ist. Und trotzdem hat das Ganze einen etwas merkwürdigen Beigeschmack.
Ich habe lange überlegt, warum ich mich während des Films oftmals sehr unwohl gefühlt habe. Letztendlich konnte ich es an einer verständlichen Hasstirade von Elizabeth auf die Boulevardpresse ausmachen, die sich mit ungeheurer Sensationsgier sofort auf den schrecklichen Unfall gestürzt hat und den Hinterbliebenen so einen ganz persönlichen Moment genommen hat. Es ist ein sehr leidenschaftlicher Moment, voller Wut und Trauer. Eigentlich einer der stärksten Szenen im Film. Was mir dabei auf den Magen geschlagen ist, ist die Tatsache, dass die Geschichte von "Schoßgebete" ja sehr viele biografische Bezüge zum Leben von Charlotte Roche hat und sie hier den tragischen Unfalltot ihres Bruders und zwei ihrer Stiefbrüder im Jahr 2001 verarbeitet. Dass sie dies quasi mit der Öffentlichkeit teilt, mag für sie eine wichtige Therapie sein. Doch gerade weil dies ein so schrecklicher und so persönlicher Moment ist, fühlt man sich hier als Zuschauer fast wie einer von den Voyeuren, die Elizabeth zu Recht angreift.
Natürlich ist es etwas völlig anderes, ob die Boulevardpresse eine solche Tragödie für die Auflagensteigerung ausschlachtet oder ob ein(e) Betroffene(r) mit seiner/ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit geht. Dennoch bleibt gerade bei einem derart kommerziellen Weg ein etwas zwiespältiges Gefühl. Das ändert nichts an der Tatsache, dass "Schoßgebete" als Tragikomödie durchaus zu überzeugen weiß und über weite Strecken als wirklich guter Film und als ein leidenschaftliches Plädoyer für das Leben bezeichnet werden kann. Als Zuschauer kann man lachen, wird aber auch tief bewegt. Dass einige Szenen etwas bemüht und ein klein wenig plakativ wirken, kann da durchaus verziehen werden. Wem das Buch gefallen hat, der wird die Verfilmung sicherlich schon alleine aufgrund der großartigen Hauptdarstellerin mögen. Und dafür gibt es dann auch ein zufriedenes: mit kleinen Einschränkungen sehenswert!
Ein Artikel von Sebastian Betzold